Epochenunterricht / Haupt- und Fachunterricht

Ein wichtiges Element der Waldorfpädagogik ist der Epochenunterricht. Während der gesamten Waldorfschulzeit, also in den Klassen 1-12, werden Fächer, in denen Sachgebiete in sich geschlossen behandelt werden können (dies sind z.B. Deutsch, Geschichte, Mathematik, die Naturwissenschaften), in Epochen von 2-4 Wochen unterrichtet.

Das bedeutet konkret, dass während dieser 2-4 Wochen im sog. Hauptunterricht, der ersten Unterrichtseinheit jedes Schultages (von 08:30 bis 10:00 Uhr), ein Themengebiet behandelt wird. Über mehrere Wochen hinweg tauchen die Schüler:innen dadurch intensiv in das Thema eines bestimmten Faches ein und setzen sich damit auseinander.


Epochenunterricht

Eine weitere Besonderheit der Waldorfpädagogik und des Lernens in Epochen, ist, dass die Schülerinnen und Schüler Epochenhefte führen. Der Unterrichtsstoff wird den Schülerinnen und Schülern nicht anhand von Lehrbüchern vermittelt, sondern von den Lehrenden für die jeweilige Klasse entsprechend zusammengestellt, aufbereitet und präsentiert. Die Schüler:innen fassen das Gelernte dann selbst in ihren individuell gestalteten Epochenheften zusammen. Dieses praktische Tun, das Führen und Gestalten der eigenen Aufzeichnungen, ist ein erster Schritt der Verinnerlichung des Unterrichtsstoffes.

In der Unter- und Mittelstufe werden – je nach Klassenstufe -  Deutsch, Mathematik, Formenzeichnen, Geschichte, Erdkunde, Pflanzen-, Tier- und Menschenkunde, Physik, Chemie und Himmelskunde in Epochen unterrichtet, in der Regel immer vom Klassenlehrer bzw. von der Klassenlehrerin.

In der Oberstufe werden Deutsch, Geschichte, Sozialkunde, Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Geographie und Kunstgeschichte als Epochen unterrichtet.


Hauptunterricht

Im Hauptunterricht ist neben dem Eintauchen in den Epochen-Stoff auch Raum für das Rezitieren von thematisch bzw. jahreszeitlich passenden Sprüchen und Gedichten sowie für das Singen und Musizieren mit der ganzen Klasse. So wird beispielsweise jeder Schulmorgen durch das gemeinsame Sprechen des Morgenspruchs eröffnet.


Fachunterricht

Im Anschluss an den Hauptunterricht findet der Fachunterricht statt. In den Fachstunden, Einheiten von 40-45 Minuten werden Fächer unterrichtet, die laufender Übung bedürfen. Dazu zählen die Fremdsprachen (an unserer Schule Englisch und Französisch), der künstlerische und handwerkliche Unterricht, Religion sowie Eurythmie und Sport.

Während der Hauptunterricht beim Klassenlehrer bzw. der Klassenlehrerin im großen sozialen Gefüge des ganzen Klassenverbands stattfindet, wird die Klasse für den Fachunterricht geteilt oder gedrittelt, so dass hier ein konzentriertes Arbeiten in kleinen Gruppen möglich wird, was gerade beim Üben der Fremdsprachen oder dem Anleiten neuer handwerklicher Schritte von Vorteil ist.

Der Lehrplan

Waldorfschulen verstehen ihren Lehrplan als einen sich ständig entwickelnden Rahmenlehrplan, der in der konkreten Zusammenarbeit der Lehrerinnen und Lehrer mit ihren Schülerinnen und Schülern individualisiert und modifiziert werden kann. 

Im Laufe der Zeit haben sich sowohl aus den grundlegenden Lehrplanempfehlungen Rudolf Steiners als auch aus einer Fülle praktischer Erfahrungen viele inhaltliche Bögen herauskristallisiert, die eine gemeinsame Basis für die Arbeit aller Waldorfschulen bilden. Stets liegen die Gesetzmäßigkeiten der kindlichen Entwicklung sowie die ausgeglichene Förderung der Entfaltung kognitiver, sozialer und praktisch-handwerklicher Fähigkeiten der genauen Ausarbeitung des Lehrplans zugrunde. Der vielfältige Fächerkanon bildet die Grundlage für eine umfassende Allgemeinbildung der Schülerinnen und Schüler.

Die hier einsehbare interaktive Tabelle des Bundes der freien Waldorfschulen gibt Ihnen einen Überblick über das Grundgerüst eines jeden Waldorfschullehrplans und – durch Anklicken der einzelnen Felder – einen Einblick in dessen Inhalte.

Besondere Fachbereiche

Eurythmie

Die Eurythmie ist eine Bewegungskunst, die 1912 von Rudolf Steiner, ursprünglich als Bühnenkunst, entwickelt wurde. Mit Gründung der ersten Waldorfschule in Stuttgart (1919) wurde die damals noch ganz junge Eurythmie dann in den Lehrplan aufgenommen. Sie ist seitdem ein zentrales Unterrichtsfach und wesentliches Mittel, Waldorfpädagogik zu verwirklichen. Sie wird von der 1. bis zur 12. Klasse unterrichtet.

In der Eurythmie kommen die Gesetzmäßigkeiten der Musik und der Sprache zum Ausdruck. Sowohl durch die Bewegung Einzelner als auch durch Bewegungen einer Gruppe im Raum.

Die Elemente der Eurythmie werden den Entwicklungsstufen des Kindes gemäß zuerst in ganz einfacher, spielerischer Form, später im Schwierigkeitsgrad sich steigernd geübt. Die Kinder der 1. bis zur 4. Klasse begeben sich im Eurythmieunterricht – parallel zu den Inhalten des Hauptunterrichts – beispielsweise in die Welt der Märchen und Tiere, während sich das ästhetisch-künstlerische Element der Eurythmie dann in der Oberstufe realisieren kann, wo die Schülerinnen und Schüler anspruchsvolle Kompositionen und Dichtungen von der Klassik bis zur Moderne erarbeiten.

Einen Höhepunkt findet der Eurythmie-Unterricht im Rahmen des künstlerischen Waldorf- Abschluss am Ende des 12. Schuljahres, bei dem die sorgfältig inszenierten und einstudierten Eurythmieaufführungen einen wichtigenTeil ausmachen. Hier wird Eurythmie einmal mehr zur Bühnenkunst.

Die Bewegungs- und Ausdrucksmöglichkeiten, die die Eurythmie bietet, bilden eine wesentliche Grundlage für viele Lernprozesse sowie für die Persönlichkeitsbildung der Kinder und Jugendlichen. Sie ermöglichen und unterstützen u.a.

  • das Erfassen des gesprochenen Wortes im einzelnen Laut, der grammatikalischen und metrischen Sprachelemente sowie der poetischen Grundformen
  • das Hineinleben in die Gesetze der Musik (z. B. Rhythmus, Melos, Takt, Harmonie, Töne, Intervalle, musikalische Stilformen),
  • die eigene Körperlichkeit zum Raum in Beziehung zu bringen sowie das Üben der Geschicklichkeit in Bezug auf die Eigenbewegung,
  • die Mitschüler:innen im Raum wahrzunehmen, die ganze Gruppe im Auge zu haben und sich selbst sinnvoll in diese einzugliedern,
  • das Üben beweglichen Denkens durch das Ausführen geometrischer Raumformen und Formumwandlungen.
  • Der Eurythmie-Unterricht ist somit eine bereichernde Unterstützung der handwerklich-künstlerischen, der sprachlichen und der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer.

In ihrer therapeutischen Form findet die Eurythmie darüber hinaus erfolgreich als Heileurythmie Anwendung. In Zusammenarbeit mit dem Schularzt wird sie im Einzelfall da angeboten, wo sie Schüler:innen helfen kann, körperliche und seelische Hemmnisse zu überwinden.

 

Gartenbauunterricht

„Den großen Stein können wir doch mit dem Palettenhubwagen umsetzen, oder was meinst du?“ – „muss ich diesen Ast auch absägen oder soll der weiterwachsen?“ Solche oder ähnliche Fragen kann man hören, wenn man Schüler:innen beim Arbeiten im Schulgarten oder bei der Pflege der Anlagen um die Schule herum beobachtet.

Diese Fragen mögen andeuten, inwiefern der Schulgarten ein einzigartiger Lern- und Erlebnisraum ist. Mit seinen  Tätigkeitsfeldern bietet er einen wertvollen Kontrast zum Lernraum Klassenzimmer – und darüber hinaus zu unserer heutigen digital geprägten Lebenswelt. Der Jahreslauf wird hier physisch spürbar, die Vegetation sowie Insekten und Vögel können unmittelbar wahrgenommen und erlebt werden und die Schülerinnen und Schüler lernen im Schulgarten ganz konkret, die Gartenarbeiten auszuführen, die je nach Jahreszeit an der Reihe sind.

Der Gartenbauunterricht bereichert von der 6. bis zur 8. Klasse den Stundenplan und verhilft den Schüler:innen durch die praktische Tätigkeit „im Grünen“ zu einem realen Verständnis der Naturzusammenhänge. Aus diesem Verständnis heraus wiederrum erwachsen Verantwortungsgefühl gegenüber der Natur und Urteilsfähigkeit in Bezug auf den Umgang mit natürlichen Ressourcen.

„In diesem Alter kann durch Bodenbearbeitung mehr an Verständnis und Wahrnehmung für die Lebendigkeit erreicht werden als durch alles Theoretische in den folgenden Jahren.“ (Rudolf Steiner)

Auf das Ende des Gartenbauunterrichts folgt in der 9. Klasse ein Landwirtschaftspraktikum und in der 10. Klasse eine Obstbaumveredelungsepoche.

 

Werkunterricht

EIN EINBLICK – DAS HANDSCHNITZEN IN DER 5. KLASSE

Einige Wochen haben die Schülerinnen und Schüler in Vorfreude auf die erste Werkstunde gelebt. Endlich werden die im Handarbeitsunterricht selbst genähten Werkstattschürzen eingeweiht. Sorgfältig wurden noch die Namen auf das blaue Tuch gestickt. Die Kinder treten in den Werkraum, wo der Duft der Kiefernrinde sich ausgebreitet hat.

Die Schüler:innen der 5. Klasse sitzen auf Hockern im Kreis. Nach einer Einführung in den Gebrauch der Handschnitzmesser werden die Messer und die Rindenstücke verteilt, dazu ein Brustbrett, um die Brust zu schützen. Die Ellbogen liegen am Oberkörper an. Die Arbeitshand umgreift das Messer, führt es zum Schneiden an den Werkstoff. Die Haltehand umgreift die Rinde und unterstützt die Arbeitsbewegung. Die beiden Hände arbeiten sehr unterschiedlich in einem sinnvollen Miteinander: Die eine hält zurück, liegt an; die andere schiebt, drückt, bewegt. Kraft und Gegenkraft wirken harmonisch aufeinander abgestimmt, den Widerstand des Werkstoffes spürend. Die Arbeit wird noch ganz im Brustbereich ausgeführt. Muskelkraft und Rhythmus ergänzen sich. Nach einigem Üben wird der Bewegungsablauf immer selbstverständlicher. Zur Freude aller entstehen schöne Späne und die Lust am Formen wächst.

Dieser Unterricht kommt dem Drang nach spannender Betätigung entgegen. Das Handschnitzen erfordert Mut und Besonnenheit – die Schüler:innen suchen die Probe. Bewegungsabläufe und Formempfinden werden geübt.

 

Was für das Handschnitzen in der 5. Klasse gilt, ist auch für den gesamten Werkunterricht an der Waldorfschule zutreffend: Das eigene Tun wird im Prozess mit all seinen Auswirkungen vollständig erfassbar und zugleich sichtbar. Feinmotorisches Geschick, Konzentrationsfähigkeit und Wachheit sind hierbei gefragt. Sinnesschulung geht selbstverständlich mit diesem praktischen Unterricht einher, schon allein durch die Tatsache, dass jedes Material (z.B. Holz, Ton, Kupfer, Stein) seinen Eigencharakter besitzt (Härte, Aussehen, Geruch, usw.). Oftmals gehen die Schülerinnen und Schüler bei der Arbeit an ihren Werkstücken über das Zweckmäßige hinaus und legen ein besonderes Augenmerk auf das Schöne, auf die ästhetische Gestaltung, wodurch auch das künstlerische Element seinen sichtbaren Ausdruck findet.

Der Werkunterricht beginnt in der Mittelstufe mit dem Herstellen von eigenen kleinen Werkzeugen und Gebrauchsgegenständen, Tieren und beweglichen Spielzeugen aus Holz.

In der Oberstufe werden in einer Schreinerepoche selbst entworfene Möbelstücke erstellt, außerdem kommt beim Schmieden und beim Kupfertreiben nun auch die Arbeit mit dem Werkstoff Metall hinzu. Zu den handwerklich-künstlerischen Epochen in der Oberstufe gehören auch das Plastizieren mit Ton und das Steinhauen.

Handarbeitsunterricht

Der Handarbeitsunterricht zieht sich durch alle Klassenstufen der Waldorfschule.
Für jede Altersstufe gibt es speziell ausgewählte Aufgaben, wobei mit der wachsenden Zahl an Fähigkeiten der Kinder und Jugendlichen immer wieder neue Möglichkeiten der Handarbeit entstehen.
Vom Verarbeiten der frisch geschorenen Wolle zum Faden in der 1. Klasse, über das Schneidern eigener Kleider mit der Nähmaschine ab der 8. Klasse, bis hin zum Spinnen und Weben in der Oberstufe lernen die Schüler:innen ganz verschiedene handwerkliche Tätigkeiten sowie den Umgang mit unterschiedlichsten Materialien kennen.
Dabei ist die Handarbeit mehr als nur Stricken, Häkeln, Filzen, Sticken, Nähen, Spinnen und Weben. Es geht auch um Farbempfinden, Schönheit und Formgebung.
Mit der Freude, etwas mit den Händen zu schaffen und mit der liebevollen Verbindung zur handwerklichen Aufgabe gehen eine Steigerung der Konzentrationsfähigkeit, die Schulung des Durchhaltevermögens, der Willenskräfte und der Sinneswahrnehmung sowie die Ausbildung eines ästhetischen Empfindens einher. Auch die Geschicklichkeit der Hände wird beim Herstellen von sinnvollen Gegenständen geschult.
Unser pädagogisches Anliegen geht jedoch weit über das Beschriebene hinaus: Durch Facetten des handwerklichen Tätigseins wie das beidhändige und feinmotorische Arbeiten sowie die Rechts-Links Koordination bietet der Handarbeitsunterricht wichtige Voraussetzungen für die Grundlagen des Lernens und damit auch für die kognitiven Fächer.